Meine Mischung

Die großartigste, bestbezahlte Fähigkeit im Magazinjournalismus, die letztlich über Erfolg und Misserfolg entschieden hat und Karrieren begründet, ist die Fähigkeit, das herzustellen, was Tina Brown „The Mix“ genannt hat. Und zumindest zu ihrer Zeit als Chefredakteurin der amerikanischen „Vanity Fair“ gab es niemanden, der eine spannendere, besser funktionierende Mischung gefunden hat als sie – zwischen hart und weich, lang und kurz, traurig und lustig, glamourös und mitfühlbar. Jedes Heft musste immer schon ein bestimmtes, wiederkehrendes Gefühl herstellen, um befriedigend für den Leser zu sein, so wie es jede Fernsehserie muss, jeder Roman, jedes Paar Schuhe. Aber die größte Kunst war immer, ein bestimmtes Gefühl herzustellen über das ganze Leben. Nicht im „Special Interest“, wo die Lebensgefühle der Golfer, Taucher oder – wie heute bei Brand Eins – derjenigen abgebildet und befriedigt werden müssen, die unter Wirtschaft mehr verstehen als die Zahl, die am Ende dabei herauskommt. Die Königsdisziplin war das Leben der Masse, der Vielen, der Lieschen Müllers. Wer die Bedürfnisse der Masse befriedigen kann, der wird reich, berühmt und mächtig. Wer die geheime Formal kennt für den „Mix“, der war ein gemachter Chefredakteur.Und nun löst sich diese Masse auf. Ganz langsam, und bei allen Abgesängen auf das langsame, unmoderne Printmagazin muss man sagen, dass es immer noch funktioniert und Geld verdient, aber wer die Indizien noch ignoriert, der verschenkt seine Zukunft: Es gibt immer wenige Magazin-Anmischungen, die noch viele Leute genug berühren, um sie zum Kauf einer Zeitschrift zu bewegen. Und dieser Trend wird sich fortsetzen.Der Grund dafür ist einfach: In der Masse der Informationen, die wir täglich aufnehmen, im Mix unserer Kommunikation, sind wir immer mehr in der Lage, unseren Mix selbst zu bestimmen. Was gerne falsch verstanden wird als: Wir stellen uns unsere Informationen selbst zusammen. Das ist bestenfalls am Rande eine Erscheinung, wenn wir auf iGoogle unsere Nachrichtenquellen zu einer personalisierten Startseite zusammen basteln. Wir suchen längst nicht mehr nur unsere Inhalte selbst aus – sondern unsere Redakteure. Mein täglicher Nachrichten-Stream wird zusammen gestellt von meinen Freunden auf Facebook, den Menschen, denen ich auf Twitter folge – plus den paar Webseiten, die ich noch sehe (in Wahrheit regelmäßig nur Spiegel, Bild, die New York Times und Slate). Denn es stimmt ja: Wenn eine Nachricht wichtig ist, dann wird sie mich erreichen.Ich brauche keine Tina Brown mehr, die weiß, was meine Freunde und ich lesen wollen, weil meine Freunde und ich es selbst aussuchen. Was eine einzige Voraussetzung hat: Dass wir beitragen. So lange jeder hin und wieder etwas findet, sagt, kommentiert, eine Meinung äußert oder was auch immer ihm einfällt, dann kommt tatsächlich am Ende ein interessanter, oft spannender, unterhaltsamer Prozess dabei heraus, in dem ich mich mindestens so wohl fühle wie während der Lektüre der wenigen Magazine, die ich richtig gut finde. Ich erfahre, lerne und fühle wahrscheinlich eher noch mehr. Und das ist gleichzeitig die Antwort auf die Frage, die man immer wieder gestellt bekommt: Warum twittert jemand? Warum ist jemand auf Facebook? Warum machen Menschen Youtube-Videos? Ganz einfach: Sie tragen bei zum großen Ganzen. Und es wäre wirklich traurig wenn die einzige Antwort eines Journalisten auf die Frage „warum schreibst du über dieses oder jenes Treffen von irgendeinem Ausschuss zu irgendeinem Thema?“ wäre: Weil ich dafür bezahlt werde. Es wäre sogar schlimm, wenn das so wäre.Tina Brown weiß das übrigens. Sie macht jetzt ein Online-Magazin, „The Daily Beast“, das zum großen Teil nur fremde Geschichten aggregiert und verlinkt. Das ist schlau. Denn sie kann es ja immer noch.

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